Die Konsumfalle - Projekt zur Schuldenprävention an Schulen gestartet
Karlsruhe - "Haste was, biste was" - was für die Meisten ein schnell dahergesagtes Sprichwort ist, wird für viele Jugendliche oft zur bitteren Realität. Handy und Markenkleidung gehören zur Grundausstattung, um im Klassenverband bestehen zu können. Die Freiheit des Marktes wird da für die junge Zielgruppe schnell zur Konsumfalle. Dann nämlich, wenn der Monat noch lang, das Taschengeld jedoch rar ist und die Handyrechnung dennoch unerbittlich ins Haus flattert, sind Probleme vorprogrammiert. Woher nehmen, wenn nicht stehlen - das Projekt "Werbung-Wünsche-Wirklichkeit, Schuldenprävention in der Schule" will Schüler für den Umgang mit Geld sensibilisieren. Dafür arbeiten die "Sparkassen-Stiftung zur Förderung der Jugend" und der Caritasverband Karlsruhe e.V. Hand in Hand.
"Wir möchten jungen Verbrauchern ein Stück Lebenshilfe bieten", fasst Sparkassendirektor Heinrich Birken den Zielgedanken der Kooperation bei einem Pressegespräch am heutigen Mittwoch zusammen. Das Know-How der Stiftung und die Erfahrungen des Caritasverbandes im Bereich der Schuldnerberatung ergänzten sich in diesem Zusammenhang bestens. Heute ist das Gemeinschaftsprojekt von der Planungs- in die Erprobungsphase getreten: Eine erste Unterrichtseinheit, die Schülern den Umgang mit Geld vermitteln und sie vor späterer Verschuldung bewahren soll, fand am Morgen in der Klasse 9b der Gutenbergschule statt.
Handy verschlingt enorme Kosten
Wie ernst der Hintergrund des Projektes ist, zeigt das Beispiel einer Schülerin. Sie wurde von ihren Eltern derart misshandelt, dass sogar die Lehrerin darauf aufmerksam wurde. Der Grund: Eine Handyrechnung von damals 700 Mark. Dieser Vorfall gab der Zusammenarbeit von Caritas und Sparkasse den entscheidenden Impuls. Zwar führte die Caritas bereits Vorträge an Schulen zum Thema Schuldenprävention durch, jedoch grenzte der vorhandene Etat die Möglichkeiten stark ein. Nun sorgt die Sparkassenstiftung für den finanziellen Rahmen und die Caritas für qualifiziertes Personal: Zwei Sozialpädagoginnen vermitteln nun in zunächst fünfzehn Unterrichtseinheiten à zwei Stunden den Umgang mit Wünschen und das richtige Konsumverhalten. "Das Projekt ist aber zeitlich nicht fest begrenzt", ergänzt Birken. Ein Fortbestehen der Kooperation sei angedacht.
"Über Geld und Schulden kann nicht erst mit 18-jährigen gesprochen werden", dann also, wenn ein junger Erwachsener kreditwürdig wird, erklärt der Geschäftsführer des Caritas-Verbandes, Hans-Gerd Köhler. Wo nämlich keine Aufklärung stattgefunden habe, da könne auch kein Wissen vorausgesetzt werden und genau darin habe bisher das Defizit bestanden. Auch Köhler betont, dass besonders das Handy Jugendliche und oft auch die Eltern, finanziell in Gefahr bringen kann. Besonders durch das Verschicken von SMS summierten sich die Beträge erheblich.
Adäquat mit Jugendlichen sprechen
Oft spiele aber bei Jugendlichen auch ein spontaner Konsumwunsch und die Unerfahrenheit eine Rolle. Schnell leihen sich die Kinder Geld aus, um Wünsche sofort verwirklichen zu können. "Anfangs liegen die Beträge im Cent-Bereich", erläutert Köhler, "doch schnell steigert sich das Ganze in hohe Schulden." Geldgeber seien dabei oft Verwandte oder Freunde, doch auf der Suche nach Geldgebern geraten die Jugendlichen leicht an unseriöse Partner. "Schulden bedeuten dann immer auch Erpressbarkeit", fügt Köhler hinzu. Die Chance des Projekts liege darin, "dass Kinder und Jugendliche durchaus offen sind, das eigene Verhalten zu überdenken", so Köhler. Aus seiner dreißigjährigen Erfahrung als Hauptschullehrer weiß auch Bürgermeister Harald Denecken, wie schnell Naivität und Unkenntnis bei Jugendlichen zu Verschuldung führen können. "Dies ist eine sehr ernste Angelegenheit", betont Denecken, "auch heute habe ich Kontakt zu meinen ehemaligen Schülern, darunter sind auch sehr traurige Fälle." So ist eine junge Frau in die Schuldenfalle geraten, nachdem sie für ihren Lebensgefährten einen Kredit aufgenommen hatte. Fälle dieser Art ließen sich durch das Projekt möglicherweise verhindern: "Wenn man mit Jugendlichen adäquat über die Problematik spricht, erinnern sie sich später und sind misstrauisch bei Kreditabschlüssen", ergänzt der Bürgermeister.
"Sein durch Haben"
Dr. Werner Schnatterbeck, der Leiter des Staatlichen Schulamtes, betont, dass es sowohl äußerer Stärkung durch Gesetze, als auch innerer Stärkung der Jugendlichen durch das Verfolgen einer bestimmten Pädagogik, bedarf. "Die Schule muss auch immer eine Gegenkultur sein", fordert Schnatterbeck. Die Schule müsse aufzeigen, dass es zu Strömungen und Vorgängen in der Gesellschaft auch immer Alternativen gebe. "Wir müssen den Schülern praktische Lebenshilfe bieten", so das Resumée des Schulamtleiters. "Es muss deutlich gemacht werden, dass das Sein wichtiger ist als das Haben." Oft lautete aber unter Schülern die Parole: "Sein durch Haben", wendet Dr. Angelika Westermann, Lehrerin an der Gutenbergschule, ein. Ein Phänomen gerade an dieser Schule sei, dass viele Kinder aus problembehafteten Elternhäusern kämen. Oft würden Eltern aus "Staaten, in denen der Staat alles gerichtet hat", den Kindern eine falsche Erwartungshaltung vermitteln. Dass man nämlich hier alles bekäme, was das Herz begehrt. Natürlich prallten dann Traum und Wirklichkeit für die Jugendlichen zusammen. Dies verstärke das Problem zusätzlich. Wenn die Schulden erstmal da sind, ist es oft zu spät "Schüler unterliegen mittlerweile einem Statusvergleich", das heißt, dass "es zum Beispiel nicht nur eine Handy, sondern ein bestimmtes Handy sein müsse", ergänzt der Rektor der Gutenbergschule, Beedgen. Oft führe dies dazu, dass das gewünschte Handy nicht gekauft, sondern "geholt" würde, wie im Falle dreier 14-jähriger Schüler der Gutenbergschule. Gegen sie wird wegen "räuberischen Diebstahls" ermittelt. "Bei ihnen wurde versäumt, deutlich zu machen, dass Gewalt kein Weg ist, der in eine Zukunft führt", bedauert der Schulleiter. Durch das Projekt müsse vermittelt werden, dass zwischen Anreiz und Wirklichkeit ein Weg gefunden werden müsse, damit Schüler nicht länger in der Jugendvollzugsanstalt landeten. Der Satz, "Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir", passe immer und sei nach wie vor aktuell, so Beedgen. Wolfgang Betting von der Schuldnerberatung der Caritas führte heute die erste Unterrichtseinheit durch. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Erwachsene häufig erst nach Jahren die Schuldnerberatung aufsuchten, berichtet Betting. Die Probleme stammten jedoch teilweise noch aus der Jugend. Deshalb dürfe man nicht erst ansetzen, wenn die Schulden schon da sind, sondern vorher. Die entwickelte Unterrichtseinheit sei auf Schüler der achten bis zehnten Klasse an Haupt-, Real- und Sonderschulen zugeschnitten. Kernstück der Unterrichtseinheit sei jeweils ein Kurzfilm, der das Thema problematisiere. Beim zweiten Ansehen des Filmes stoppe er den Film und gehe mit den Schülern auf einzelne Szenen ein. Dabei reflektierten die Schüler über ihr eigenes Verhalten, und "sie sind auch durchaus bereit dazu", ergänzt Betting. (kat)
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